Warum jeder Imker auch Züchter ist

Das ist ein schönes Thema für Kontroversen – gerade im Imternet – aber ich finde das wichtig:

Jeder Mensch, der Bienen hält, ist ein Bienenzüchter – es ist dabei unerheblich, ob und wie viele Königin er zieht, auf welche Weise er das tut, oder ob er überhaupt keine Königinnen vermehrt.

Meine Begründung ist denkbar einfach.
Anders als bei Kaninchen- oder Hundezüchtern, nehmen die unter des Imkers befindlicher Obhut stehenden Bienen immer am Vermehrungsprozess der anderen Bienenvölker in der Umgebung statt.

Daraus erwächst ein unmittelbarer Einfluss eines jeden Imkers auf den Genpool des ihn umgebenden Bienenhabitats. Er kann das auch nicht verhindern, denn seine Bienen werden es immer schaffen, in den Sommermonaten Drohnen aufzuziehen und diese in die Freiheit zu entlassen, damit sie Königinnen finden und diese begatten.

Zucht hat immer mit Selektion zu tun, mit der Auswahl von Merkmalen, die während der Vermehrung bestenfalls weitergegeben und ausgeprägt werden sollen.
Aber ein “Nicht-auswählen” durch den Bienenhalter (sprich: Züchter), ist auch eine Form der Selektion – denn er entscheidet sich bewusst (oder bei Unwissen auch unbewusst) dazu, alle Merkmale, die in seinem Bestand anzutreffen sind, gleichermaßen auszuwählen und zu verbreiten – es ist die Wahl der Nicht-Auswahl. Die Verbreitung manifestiert sich in der Drohnenaufzucht seiner Völker, und der Weitergabe der entsprechenden Gene in die Umgebung.

Ich möchte, dass der Begriff des “Züchters” entkoppelt wird – entkoppelt von der Erfahrung, dem Handwerk, den Mühen und Unwägbarkeiten jener Imker, die sich über Jahre der Züchtung, Selektion und Pflege der besten Königinnen hingegeben haben, und das der Begriff vom Handwerk losgelöst auf die Verantwortung eines jeden Bienenhalters übertragen wird.
Es ist diese Verantwortung, die nicht an der eigenen Grundstücksgrenze endet, sondern die immer darüber hinaus geht, weil die Drohnen darüber hinaus fliegen.

Heute ist der Begriff des Züchters einer, der auf die besondere Sachkunde, Erfahrung und handwerklichen Fähigkeiten abzielt – aber diese begriffliche Priviligierung entbindet gleichermaßen den gewöhnlichen Imker von seiner Verantwortung, die er ebenso für den Gesamtbestand an Bienen in seiner Umgebung trägt.
Viele nennen sich heute bestenfalls “Vermehrer”, wenn semiprofessionell Königinnen gezogen werden. Das ist immer als eine Art Unterordnung unter “die richtigen Züchter” zu verstehen, und diese Abgrenzung wird in der Regel auch erwartet und begrüßt.

Aber bei alltäglichen Praktiken, wie der Ablegerbildung, wird schon handfeste Zucht betrieben. Es wird eine bewusste Entscheidung getroffen, welches Volk, welche Gene vermehrt werden. Das gleiche gilt beim Kauf von Königinnen – aus welcher Quelle will man welche Qualität von Weisel bestellen?
Bei der Einwinterung werden zu oft schwache Völker nicht aufgelöst und irgendwie über den Winter gepeppelt – auch das ist Zucht, weil der Imker in den natürlichen Selektionsprozess eingreift und auch Schwächlinge überleben lässt, die ihre Gene im kommenden Frühjahr weitergeben wollen.

Zucht heisst, Verantwortung für einen bewussten Selektionsprozess zu übernehmen. Jeder Imker ist gehalten, bei der Auswahl von Königinnen oder Völkern, immer auch eine begründete Entscheidung zu treffen, warum er ein Volk/eine Königin überleben lässt oder vermehrt. Dabei spielt der Grad an Können, Wissen und Erfahrung nur eine untergeordnete Rolle, für das Selbstverständnis als Züchter (anders sieht es hinsichtlich des Ergebnisses einer Selektion aus) – wichtig ist, dass jeder Imker diese Rolle bewusst einnimmt.

Insofern werbe ich dafür, den Begriff des “Züchters” etwas zu ent-priviligisieren, und mehr als umklammernden Begriff für all jene zu Verwenden, die auf die eine oder andere Art Honigbienen bewusst halten, pflegen, betreuen.
Das schmälert im übrigen m.E. auch überhaupt nicht die Leistung jener, die wir heute als professionelle Züchter. Vielmehr sollte jeder Imker, der nicht in der Lage ist, aus seinem Bestand umfassend und professionell zu züchten, die bewusste Zuchtentscheiodung treffen, eben bei jenen Profis regelmäßig Weiseln zu ordern und damit seinen Bestand aufzuwerten. Auch das ist eine Form von bewusster Zuchtarbeit – nicht selber zu vermehren, aber geprüftes Genmaterial in die eigenen Kisten zu bringen.

Würde jeder entsprechend bewusst selektieren und arbeiten – Standbegattungen würden früher oder später zu wirklich guten Ergebnissen führen können.