Auf der letzten Imkeversammlung habe ich mich leichtsinnigerweise dazu bereit erklärt, einen Vortrag rund um das Thema “VSH/SMR Zucht” zu halten.
Da ich ab März/April praktisch keine Zeit mehr habe, einen Vortrag mit der entsprechenden Sorgfalt vorzubereiten, habe ich also die Feiertage mit Recherche und Folien-erstellen verbracht.
Bevor ich tiefer einsteige: Ich gehe davon aus, dass der Leser so weit mit der Materie vertraut ist, dass er Begriffe wie “VSH” zuordnen kann und die grundsätzlichen Wirkungsweisen der Varroamilbe auf das Bienenvolk verstanden hat.
Dies wird kein Vortrag für Imkerlaien!
Nachfolgend werde ich versuchen, meine innerliche Reise darzustellen, die von einem oberflächlichen Verständnis von VSH zu der Frage führt, ob wir nicht alle beim Umgang mit der Varroamilbe umdenken müssten.
Teil 1 – Warum eigentlich VSH Zucht?
Wir haben doch Ameisensäure, Oxalsäure, Thymol, Amitraz – damit halten wir doch die Milben ganz gut in Schach, oder? Warum dann eine Biene erzüchten, die varroaresistent, bzw. -tolerant ist? Was soll daran denn besser sein?
Der Einsatz von Medikamenten ist immer nur eine Symptombehandlung, notwendig deshalb, weil es keine gesunde Parasit-Wirt Beziehung zwischen der Varroamilbe und der westlichen Honigbiene gibt.
Der dauerhafte, flächendeckende Einsatz von Medikamenten scheint auch das Varroaproblem im Laufe der Jahre verschärft zu haben: Konnten in den 80er Jahren Völker noch mühelos einen Winter mit tausenden Milben überleben, so reichen heute schon wenige hundert Milben aus, um ein Volk im Herbst zusammenbrechen zu lassen. Insbesondere die Verbreitung von Viren durch den Vektor “Milbe” ist hier als entscheidend zu sehen.
Es erinnert frappierend an das Problem mit Antibiotika in der Humanmedizin; Antibiotika wurden so oft und so sorglos eingesetzt, dass eine Selektion auf resistente Bakterienstämme erfolgte und jetzt der ganze Ansatz auf der Kippe steht.
Auf die Imkerei übertragen, sprechen manche Imker davon, dass die exzessive Behandlung gegen die Milben die Bienen hat “degenerieren” lassen, dass durch eine übertriebene, zu gut gemeinte Behandlung eine Bestenauslese unterblieben ist und nahezu jedes Volk irgendwie über die Winter geschleppt werden konnte, nur um dann im Frühjahr durch seine Drohnen diese “schlechten” Gene auch noch zu verbreiten – Generation um Generation um Generation.
In der Natur ist der Winter der härteste, unbarmherzigste Zuchtmeister – in der mensch-geführten Bienenhaltung wurde (und wird) barmherzig jedes noch so schwache Volk fürsorglich durch den Winter getragen.
Damit hebelt der Imker die natürliche Selektion über ein verantwortungsvolles Maß hinaus aus, und stellt seine kurzfristigen Interessen (jedes zusätzliche Volk bringt zusätzlichen Honig) über die langfristigen Interessen der Art (überleben als solches).
Überspitzt könnte man formulieren: Wir haben über Jahrzehnte jene Bienen selektiert, die möglichst gut mit möglichst viel Hilfe durch den Menschen überleben, während wir auf Seiten der Milbe auf die widerstandsfähigsten ausgelesen haben, jenen, die in der Lage waren, all unseren Behandlungsmethoden erfolgreich zu widerstehen.
Wenn man sich vergegenwärtigt, dass die ganze Populationsgenetik der Honigbiene darauf ausgerichtet ist, einer straffen, harten Selektion zu trotzen und sich widrigsten Bedingungen anzupassen, dann ist ein allzu umfangreicher Einsatz von Tierarzneimitteln (TAM) kontraproduktiv, bzw. hinderlich für langfristige Veränderungen im Umgang mit der Varroamilbe.
Die Frage ist, welche Alternativen zur Verfügung stehen.
Bienenvölker einfach eingehen zu lassen ist keine Lösung.
Der wirtschaftlich denkende Imker kann auch kein ähnlich harter Zuchtmeister sein, wie es der Winter ist.
Ein nahezu esoterisches Besinnen auf eine “natürliche” oder “wesensgemäße” Bienenhaltung in “bienengerechten” Behausungen, welche dem natürlichen Baum möglichst realistisch nachempfunden sein sollen, verspricht ebenso wenig eine Besserung, wie ein komplettes Einstellen aller Varroa-Behandlung mithilfe von TAM. Am Ende sind die Völker tot, und so arbeitet der gewissenhafte Imker nicht.
Trotzdem muss sich etwas ändern.
Teil 2 – Wie geht man eigentlich aktuell mit der Varroamilbe um?
In meinem Imkerverein läuft es so, wie es vermutlich in allen Imkervereinen landauf, landab vonstatten geht: Es gibt jeden Monat eine Monatsbetrachtung, im Juli wird dann zu einer ersten Ameisensäurebehandlung geraten (bei uns gerne noch mit dem Schwammtuch), am August oder September zu einer weiteren Ameisensäurebehandlung und dann folgt im November/Dezember der Hinweis auf die in jedem Fall durchzuführende Restentmilbung.
Zumindest in meinem Verein bleiben alternative Behandlungsmethoden, wie beispielsweise die TBE, völlig außen vor.
Wenn man sich die Fachzeitschriften anschaut, sehen die Empfehlungen dort sehr ähnlich aus, ebenso in den online verfügbaren Vorträgen deutschlandweit bekannter Bienenwissenschaftler wie Dr. Liebig.
Es handelt sich hierbei zweifelsohne um erprobte Methoden, welche sich über lange Jahre in der Praxis bewährt haben.
Insofern muss jede Kritik daran zunächst einmal eine reflexartige Gegenreaktion hervor rufen.
Festzustellen ist aber auch, dass zumindest in Fachzeitschriften mehr und mehr Hinweise auf alternative Behandlungskonzepte zu finden sind, wie beispielsweise auf die TBE, Bannwabenverfahren oder den Scalvini-Käfig. Diesen Methoden ist gemein, dass sie eine Brutpause herstellen und damit eine effektive und vergleichsweise schonende Behandlung ermöglichen.
Insgesamt scheint es sich aber um ein konfliktgeladenes Themenfeld zu handeln: Sobald man mit dem eigenen Behandlungskonzept vom weithin anerkannten Standard abweicht, läuft man Gefahr, sich mitunter herber Kritik aussetzen zu müssen – zu groß ist die Angst, dass der Nachbarimker Varroabomben im Garten zu stehen hat, welche im Herbst die eigenen Völker reinfizieren; zu groß ist die Angst vor Scharlatanerie.
Und so scheint es schwer, auch nur darüber nachzudenken, eingetretene Pfade zu verlassen und neue Wege zu denken und Ideen auszuprobieren.
Teil 3 – “VSH ist Träumerei!”
Es gibt hier und da ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber der Vorstellung, eine VSB-Biene (“Varroa-Surviving-Bee”) überhaupt züchten zu können.
“Das geht nicht!” oder “so eine Biene wird nie für die Imkerei taugen!” sind Einwürfe, die man immer wieder mal lesen kann. Auch der Hinweis, dass man ja schon ewig an diesem Thema forscht und züchtet, aber bisher nichts vorzuweisen hätte, womit bewiesen sei, dass es nicht ginge, ist ein vertrautes Argument.
Seeley konnte nachweisen, dass mit dem Ankommen der Varroamilbe im Arnot Forest, am Ende eines harten Selektionsprozesses nur noch wenige Herkünfte überlebt hatten. Insofern konnte mit einer entsprechenden Auslese das Überleben dieser Population an diesem Ort sichergestellt werden. Man kann das als einen starken Hinweis darauf deuten, dass sich Überlebensstrategien gegen die Milbe vererben lassen.
Derzeit geht man davon aus, dass die VSH/SMR Eigenschaften additiv vererbt werden. Das bedeutet, es sind unterschiedliche Gene an der Ausprägung des Merkmals beteiligt, sie addieren sich in ihrer Wirkung.
Jetzt sind es die additive Polygenetik als auch die Populationsgenetik der Honigbiene, die es dem Züchter nicht einfach machen, so ein Merkmal erbstabil heraus zu arbeiten.
Trotzdem gibt es Hoffnung: Harris und Harbo haben Ende der 1990er Jahre eine kleine Population selektieren können, welche selbstständig und ohne Behandlung den Milbenbefall unter einer Schadschwelle halten konnte.
Seeley konnte nachweisen, wie oben angedeutet, dass es im Arnot Forest VSB-Völker gibt, die eine straffe Selektion durchlaufen hatten, und so überlebten. Ähnliches wissen wir von Gotland, oder auch konkreten Herkünften, wie der Primorski-Biene.
Man geht derzeit davon aus, dass die westliche Honigbiene Strategien besitzt, welche sie einen Varroabefall selbstständig beherrschen lassen und welche zumindest teilweise erblich sind.
Wenn sich ein Merkmal vererben lässt, dann kann man es auch züchterisch bearbeiten.
Leider macht es einem die Honigbiene ausgerechnet bei diesem Merkmal nicht gerade einfach.
Teil 4 – Fluch und Segen: Die Vererbung bei der Honigbiene
Die Vererbung der Honigbiene läuft etwas anders ab, als bei anderen Tierarten, oder beim Menschen (oder Pflanzen). Deswegen hat man sich auch lange, nachdem man Mendel und seine Gesetzmäßigkeiten verstanden hatte, den Kopf darüber zerbrochen, warum das bei der Biene einfach nicht funktionieren wollte.
Folgende Punkte muss man dabei wissen:
- Die Königin verpaart sich mit mehreren Drohnen und konserviert das Sperma. Erst zur Eilage wird ein Ei mit einem Spermium befruchtet.
- Dadurch entstehen in einem Volk unterschiedliche Geschwistergruppen von Arbeiterinnen, mit jeweils eigenen Eigenschaften, und sehr unterschiedlichen genetischen Verwandschaftsbeziehungen.
- Die Gesamtheit der Geschwistergruppen und ihren Eigenschaften ergibt einen Phänotyp, also den “Gesamteindruck” eines Volkes.
- Die Eigenschaften der verpaarten Drohnen kann die Königin nicht direkt an eigene Drohnen weitergeben, weil sie immer nur ihren (haploiden) Chromosomenanteil an das Drohnenei weitergibt, niemals aber Chromosomen der Drohnen aus ihrer Spermatheka.
- Will man wieder an die Eigenschaften der verpaarten Drohnen kommen, muss man Drohnen der Tochter der Königin verwenden.
- In der Meiose, also wenn Ei und Spermium zusammenfinden, und eine Halbierung des Chromosomensatzes im Zuge der Reifeteilung stattfindet, kommt es zu einem Austausch von Teilabschnitten der Chromosomen (“crossing-over”). Dadurch enstehen neue genetische Kombinationen. Die Größenordnung des “crossing-over”-Austauschs bei der Biene wird als etwa 5 Mal so hoch wie beim Menschen angenommen.
Daraus ergeben sich für die Zucht diverse Probleme, erst recht in Hinblick auf die additiv vererbenden VSH-Merkmale:
- Wenn man von einer VSB/VSH/SMR Königin nachzieht, ist unklar, ob man genau die eine Geschwistergruppe erwischt, welche das gewünschte Merkmal ausprägt. Wurde die Königin von 20 Drohnen begattet, stehen die Chancen nur 1:20 pro Larve.
- Selbst wenn man die richtige Geschwistergruppe erwischt, zeigt sich das Merkmal nur dann, wenn die Tochter auch von den passenden Drohnen begattet wird, welche das Merkmal auch in sich tragen. Es mag sogar sein, dass ein Drohn das Merkmal in sich trägt, aber dessen Genom am Ende in zu wenigen Arbeiterinnen vorkommt, damit das Gesamtvolk den gewünschten Phänotyp ausprägt.
- Ein Volk kann den Phänotyp “VSB” ausprägen, weil viele Drohnen, welche die Stockmutter begattet haben, das Merkmal in sich trugen, und auch auf einer Hälfte des diploiden Chromosomensatzes der Königin das Merkmal vorhanden ist. Trotzdem können die Nachzuchten 0 Ausprägung mitnehmen, wenn denn das “falsche” Chromosom der Königin weitergeben wird. Es sind also bei der Nachzucht nicht nur die Drohnenseite ausschlaggebend (also aus welcher Geschwistergruppe umgelarvt wurde), sondern auch, welcher Hälfte des entsprechenden Chromosomenpaares der Königin sich in dieser Geschwistergruppe befindet.
- Das ausgeprägte Crossing-Over während der Meiose macht es nicht einfacher.
Man darf das bitte nicht falsch verstehen: Die Biene hat ein absolut wunderbares System bei der Vererbung entwickelt, welches ihr eine große genetische Variabilität ermöglicht – eine Voraussetzung für eine erfolgreiche, schnelle Anpassung an äußerlichen Veränderungen. Dadurch schafft sie es offensichtlich, einem hohen Selektionsdruck stand zu halten.
Für die Zucht bedeutet das aber diverse Hürden.
Teil 5 : (k)eine Lösung – “wir brauchen einen Flaschenhals”
Dröseln wir das Problem mal eben von hinten auf:
Wenn VSH/SMR additiv vererbt wird, dann werden möglichst viele der beteiligten Gene benötigt, damit das Merkmal ausreichend ausgeprägt wird – die unterschiedlichen Gene addieren sich in ihrer Wirkung. Die beteiligten Gene können auf verschiedenen Chromosomen liegen und werden unterschiedlich voneinander vererbt. Es besteht also keine Kopplung zwischen ihnen.
Von daher muss man, unwissenschaftlich ausgedrückt, die Konzentration der beteiligten Gene erhöhen.
Damit das ganze dann auch noch erbstabil funktioniert, muss man den Genpool – wenn man es so nennen will – ausreichend sättigen.
Eine Variante, dies zu erreichen, ist Inzucht.
Wenn man das Merkmal erfolgreich identifiziert hat, kann man durch gezielte Inzucht selbiges auch zum Vorschein bringen. Man drückt dabei die genetische Vielfalt zu einem Flaschenhals zusammen.
Warum das letztlich keine Lösung sein kann, muss an dieser Stelle nicht diskutiert werden, ich denke, das erklärt sich von selbst.
Bei den Buckfastzüchtern (und sicherlich auch woanders) wird daher immer wieder darauf hingewiesen, dass es möglichst unterschiedliche Herkünfte geben muss, um aus diesen im Wege der Kombinationszucht das VSH/SMR Merkmal herauszuarbeiten.
Um aber das Merkmal in einer Herkunft/einer Linie/einem Volk mit Bestimmtheit identifizieren zu können, empfiehlt Paul Jungels eine Eindrohn-Besamung einer zu testenden Königin.
Die Drohnen haben das Merkmal – die Frage, die geklärt werden soll, ist: Hat die Königin es denn auch, und wenn ja, in welchem Umfang. Einzig durch das provozieren nur einer Geschwistergruppe unter den Arbeiterinnen, lässt sich hier eine Verbindliche Aussage treffen.
Bestätigt sich ein hoher VSH Wert, wird von einer getesteten Königin entsprechend nachgezogen und diese Nachkommen auf einer Belegstelle verpaart. Der Vorteil ist hierbei, dass es nur eine Geschwistergruppe gibt, von der nachgezogen wird, was die Wahrscheinlichkeit, dass das Merkmal sich in den Nachkommen findet, entsprechend erhöht.
Mit der Begattung der Töchter auf einer Belegstelle findet man wieder den Weg zurück in einen offeneren Genpool, allerdings nur bedingt (zumal die Frage bleibt, ob hierbei das Ergebnis nicht wieder durch “falsche” Drohnen ohne das Merkmal verwässert wird).
Letztlich ist derzeit die Anzahl der geprüften Herkünfte, die zur VSH Zucht herangezogen werden kann, begrenzt. Und je höher man den Selektionsdruck ansetzt, um so mehr engt sich der Genpool wieder ein.
Ähnliches dürfte auch bei den Forschungsarbeiten am LIB Hohen Neuendorf relevant sein.
Dort arbeitet man etwas anders: Man markiert Arbeiterinnen und impft Zellen mit Milben. Zeigen Arbeiterinnen bei diesen Zellen das gewünschte Ausräumverhalten, werden diese Arbeiterinnen gezielt in die Drohnenbrütigkeit geführt.
Die dabei entstehenden Drohnen werden dann zur künstlichen Besamung von Jungweiseln herangezogen.
Das Problem dabei wird sein, dass in Hohen Neuendorf auch nur eine sehr begrenzte Anzahl an Linien als Herkünfte zur Verfügung steht. Aus diesen Herkünften zieht man Königinnen und Arbeiterinnen, die man in die Drohnenbrütigkeit führt. Es ist auch kaum anders denkbar, denn damit sich die VSH zeigt, müssen im Wege der additiven Polygenie ausreichend “richtige” Gene zusammenfinden.
Eigentlich muss man in Hohen Neuendorf sehr schnell auf einen Flaschenhals in der genetischen Vielfalt stoßen.
Je weniger Herkünfte als Ausgangsmaterial für eine VSH Zucht zur Verfügung stehen, umso weniger Nachhaltig können die Zuchtergebnisse mittel- bis langfristig sein. Früher oder später ergeben sich aus einer zu hohen Inzucht Probleme mit der Vitalität, oder das Merkmal wird wieder aus der Population “ausgeschwemmt”, weil immer weniger Herkünfte mit VSB-Eigenschaften zur Anpaarung herangezogen werden.
Allerdings: All diese Probleme sind nicht neu. Man kennt sie aus der Linien-, der Kombinations- und der Reinzucht, und dort scheinen sie beherrschbar zu sein.
Teil 6 – Strategie: Mehr Herkünfte finden!
Die Arista-Stiftung gibt an, dass ca. 10% der Bienenherkünfte VSH Merkmale in sich tragen.
Randy Oliver hat bei 1000 Völkern 52 gefunden, bei denen die Vermutung nahe liegt, dass sie die Milbenpopulation alleine unter einer Schadschwelle halten können – was etwa 5% der getesteten Völker entspricht (und es handelte sich um produktive Völker, in Langstroth Beuten).
Es besteht also ein berechtigter Grund zu der Annahme, dass es weitaus mehr Völker gibt, die VSH Merkmale ausprägen, als jene, die bereits züchterisch erfasst und bearbeitet werden.
Statista geht derzeit von 900.000 Bienenvölkern in Deutschland aus.
Selbst bei einer pessimistischen Annahme von 1% potentieller VSB Völker, würden sich dabei etwa 9000 mögliche Kandidaten für eine Zucht ergeben.
Das Problem: Aktuell finden wir potentielle Kandidaten nicht!
Der Grund dafür liegt auf der Hand – wenn man mit einer Rasenmähermethode alle Völker nahezu identisch behandelt, dann werden die besonderen Fähigkeiten einzelner nicht sichtbar.
Von daher muss sich etwas an unserer Art, wie wir mit der Varroamilbe umgehen, grundlegend ändern:
Wir müssen Möglichkeiten schaffen, die besonderen Völker zu identifizieren, damit wir sie dann genauer auf ihre VSB Eigenschaften testen können. Identifizieren wir entsprechende Völker, können wir damit die genetische Varianz eines VSH/SMR Genpools vergrößern.
Teil 6a – Die Randy Oliver Methode
Die VSH Projektgruppen der Buckfastimker arbeiten sehr gewissenhaft, und mit einem sehr aufwendigen Prüfverfahren (und die Züchter der AGT sicherlich auch…).
Dieses Prüfverfahren ist aber für den gemeinen Imker nicht praxistauglich. Daher wird auf ein einfacheres Verfahren zurückgegriffen, welches zwar weit weniger genau ist, aber für eine grobe Evaluierung von Herkünften betreffend VSH/SMR ausreichend sein sollte. Stimmen hier die Ergebnisse, kann man Treffer immer noch den Zuchtgruppen zu einer genaueren Untersuchung zur Verfügung stellen, bzw. sich selbst auf diese Einheiten konzentrieren.
Die Methode, wie sie hier gleich beschrieben werden soll, wird von Randy Oliver praktiziert, der als Erwerbsimker rund 1000 Völker untersucht und testet. Da er unter Zeit- und Kostendruck arbeitet, schlüsselt er auch die betriebswirtschaftlichen Punkte auf seiner Webseite auf. Insofern kann man diese Methode auch Berufsimkern hierzulande nahelegen.
Die Randy-Oliver Methode beruht darauf, dass man mit einem zuverlässigen Verfahren alle Völker auf ihren phoretischen Milbenbefall prüft, und nach definierten Schwellwerten aussortiert.
Die Befallsprüfung ist ein über die Saison verlaufender, kontinuierlicher Prozess, bei dem immer mehr Völker, welche im Laufe die Zeit die Schadschwellen reißen, aussortiert werden. Folglich verringert sich im Verlauf der Saison die Anzahl der zu prüfenden Völker fortwährend, die Arbeitsbelastung nimmt diesbezüglich ab.
Stichwort “Zuverlässiges Prüfverfahren”: Die Windeldiagnose gilt als ein zu ungenaues Verfahren.
Zu empfehlen sind,
- mit Einschränkungen wegen der Genauigkeit die CO2 Methode,
- Puderzuckermethode,
- Auswaschen von Bienenproben im Doppelsieb,
- Auswaschen mit Alkohol, bspw. mit dem Varroa EasyCheck
Randy Oliver arbeitet mit dem Auswaschen der Milben durch Alkohol.
Dieses Verfahren ist ausreichend genau und vor allem ausreichend schnell.
Ein Testverfahren über das Jahr könnte wie folgt aussehen:
- Ende April eine erste Prüfung aller Völker. Jedes Volk mit mehr als 1% phoretischem Befall wird aussortiert (meint: “wird nicht weiter getestet”).
Völker mit 3% und mehr Befall werden sofort behandelt. - Ende Mai eine zweite Prüfung, diesmal nur bei jenen Völkern, die bei der ersten Testung unter der Schadschwelle geblieben sind. Auch hier auffällig hoch belastete Völker behandeln.
- Ende Juni eine weitere Prüfung, wieder nur bei jenen Völkern, die Ende Mai unter 1% Befall lagen. Mittlerweile wird nur noch ein Bruchteil der ursprünglichen Völkeranzahl getestet werden müssen.
Jetzt sollten im Idealfall junge Königinnen zur Verfügung stehen. Es bietet sich an, die vormals aussortierten Einheiten umzuweiseln. - Ende Juli eine weitere Testung. Alles, was jetzt bei >1% liegt, sollte einer Behandlung zugeführt werden (TBE, AS, was auch immer), damit gesunde Winterbienen aufgezogen werden können.
Aber Völker <1% sollten laufen gelassen werden, wobei man jetzt einen Blick auf den Umfang des Brutnestes werfen sollte: Wenn das Brutnest noch sehr umfangreich ist, können dort sehr viele Milben verborgen sein. Eine weitere Kontrolle im August wäre Pflicht. - Ende August, bei abnehmendem Brutumfang, kann man drüber nachdenken, auch einen Befall von <2% zu tolerieren, wobei hier das Erscheinungsbild des Brutbildes zu berücksichtigen ist, bzw. ob sich DWV Bienen oder andere Hinweise auf Viruserkrankungen finden (HINWEIS: Ein lückiges Brutbild kann auch ein Hinweis auf VSH sein, muss aber nicht. Man könnte jetzt behandeln, bspw. mit AS – wenn sich das Brutbild daraufhin verbessert, ist das ein weiterer positiver Hinweis).
- Wenn im September und Oktober der phoretische Befall <2% bleibt, hat man einen Kandidaten, bei dem man im Winter genau drüber nachdenken sollte, ob man ihn behandelt.
Völker, deren phoretischer Befall den Schwellwert reißt, kann ergänzend die Drohnenbrut geschnitten werden. Abgesehen davon, dass es sich hier um eine varroareduzierende Maßnahme handelt, verhindert man weitestgehend eine Teilnahme der minderwertigen Genetik an der Verbreitung von Erbanlagen.
Bei den allermeisten Bienenvölkern wird der phoretische Befall im Laufe der Saison über den Schwellwert ansteigen. Wahrscheinlich haben viele Imker kein einziges Volk im Bestand, welches bis Oktober unter den 2% verbleibt.
Auch kann es ausreichend sein, wenn man zur Hochzeit, im Mai und Juni, die Tests weglässt, und erst Ende Juli wieder Völker prüft.
Wer aber jetzt meint, dass der ganze Aufwand umsonst gewesen wäre, der irrt.
Randy Oliver sagt, dass alleine das genaue Wissen über den Varroastatus in seiner gesamten Imkerei ihm einen planerischen Vorteil verschafft: Zu keiner Zeit wird er von der Milbe überrascht, er hat bei jedem Volk die Möglichkeit, rechtzeitig, vor Eintritt größerer Schäden, zu reagieren.
Gleichzeitig kann er seine Behandlungsintensität dem tatsächlichen Befall anpassen.
Randy Oliver testete initial 1000 Völker in 8 Tagen. Am Ende der Saison hatte er 52 Einheiten identifiziert, die einen gleichbleibend niedrigen phoretischen Befall hatten. Alle 52 Völker waren potentielle Kandidaten für Nachzuchten.
Welche Ausreden haben wir, nicht selbst auch nach VSH/SMR Hinweisen in unseren Völkern zu suchen?
Wer von uns hat mehr Völker, als Mr. Oliver?
Teil 8 – Fazit
VSH/SMR Zucht ist wie Sand sieben, nur das man für jeden Siebvorgang ein neues Sieb bekommt, dessen Maschenweite man nicht kennt.
Das Schreckgespenst in der Bienenhaltung ist immer noch die Varroamilbe.
Mich persönlich verfolgt das Varroamanagement das ganze Jahr über, die Milbe spukt immer im Hinterkopf herum, bei allem, was ich an den Völkern mache, oder wie ich das Bienenjahr plane.
Im Moment suche ich nach Wegen, von einem Verhalten, welches nur auf Reaktion und kurzfristige Ziele ausgelegt ist (“behandeln und die Milbe in Schach halten”), zu einer langfristigen Strategie zu gelangen, welche es ermöglicht, angepasst auf die Milbe zu reagieren.
Mein angestrebtes Engagement in einer Buckfast VSH Zuchtgruppe zielt darauf ab, einerseits aktiv jene nach meinen Möglichkeiten zu unterstützen, die wissen, was sie tun, um eine VSB Biene zu finden, als auch darin, meinen Bestand mit Genetik auszustatten, bei welcher zumindest die theoretische Möglichkeit besteht, dass sie mit der Milbe alleine zurecht kommen könnte.
Diese Bienen muss ich aber praxistauglich beurteilen können.
Randy Oliver hat aufgezeigt, dass das möglich ist. Er hat auch gezeigt, dass ein genauer Blick in den eigenen Bienenbestand geeignetes Ausgangsmaterial hervorbringen kann. Das stimmt optimistisch.
Gleichzeitig zeigt sich auch, wie fragil Fortschritte in der VSH/SMR Zucht sind, wie flüchtig sich die extrahierten Eigenschaften in der Vererbung zeigen. Und dass es ohne eine breite Zusammenarbeit der gesamten Imkerschaft langfristig nicht funktionieren kann.
Es ist keine Lösung, weiterhin auf Teufel komm raus Säuren in die Völker zu kippen, genau sowenig wie es eine Lösung ist, Völker überhaupt nicht mehr zu behandeln und abzuwarten, was überlebt.
Der verantwortungsvolle Imker lässt seine Völker nicht einfach eingehen.
Gleichzeitig muss es aber auch zu einer guten imkerlichen Praxis werden, angemessen zu selektieren. Es darf nicht jedes schwache Volk, jede Königin, die Eier legt, über den Winter geschleppt werden.
Für diese Selektion braucht es Kriterien, wie Sanftmut, Wabenstetigkeit, Vitalität und Honigertrag. Ein weiteres, wesentliches Selektionskriterium sollte aber der VSH/SMR/VSB Status eines jeden Volkes sein. Am Ende sollte von jenen Völkern nachgezogen werden, welche sich durch eine geringe Milbenlast auszeichnen.
Als erstes muss – in welcher Form auch immer – ein breiteres Bewusstsein geschaffen dafür werden, was möglich ist, und was nicht.
Und dann muss man mal sehen…
Ich denke, es kann funktionieren.